Grenzen der Meinungsfreiheit

Ein Leitfaden zur Beurteilung der (Un-)Zulässigkeit von Einschränkungen: In Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird allen Menschen das Recht auf Meinungsfreiheit zugeschrieben und ist weltweit gültig. Weiterhin haben viele Staaten den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den sogenannten „Zivilpakt“ unterschrieben, wodurch sie sich zur Meinungsfreiheit im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet haben. Jedoch ist diese für Einzelstaaten kein verbindlicher Vertrag, weswegen das Recht auf Meinungsfreiheit in nationale Gesetzgebung gegossen werden muss. In vielen Staaten wird das grundlegende Recht auf Meinungsfreiheit in den nationalen Verfassungen garantiert und häufig werden weitergehende Regelungen in weiteren Gesetzen festgesetzt.

Meinungsfreiheit ist kein absolutes Recht. Die gerechtfertigten Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit liegen da, wo anderen ein Schaden zugefügt wird. Beispielsweise ist Verleumdung zu Recht verboten. Aber viele Staaten schränken in ihren Gesetzen oder auch willkürlich die Meinungsfreiheit ungerechtfertigt ein.

Unsere Gruppen-Mitglieder Barbara Erbe und Barbara Weckler haben deshalb einen Leitfaden erstellt, der eine Hilfestellung bei der Beurteilung sein soll, ob und in welchen Fällen Einschränkungen der Meinungsfreiheit zulässig bzw. unzulässig sind. Neun einfache Beurteilungskriterien und viele Beispiele dienen der Anschaulichkeit.

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Photo: Ray Shrewsberry auf Unsplash

Uns erreichte folgende Anfrage: Warum ist das Leugnen der Shoa (Holocaust) in Deutschland verboten. Warum fällt das nicht unter Meinungsfreiheit?

Hier die Antwort unseres ehemaligen Gruppen-Mitglieds Thomas Kowohl:

Meinungsfreiheit ist ein durchaus weit gefasster Begriff. Es lässt sich praktisch jedes Werturteil darunter fassen. Im Falle eines Werturteils kommt es zu einer Abwägung mit anderen Rechten.

Im Zusammenhang mit der Holocaust-Leugnung müssen wir differenzieren. Handelt es sich um die einfache Leugnung des Holocausts? Wenn ja, dann handelt es sich nicht um ein Werturteil, sondern um eine falsche Tatsachenbehauptung. So entschied auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht. Falsche Tatsachenbehauptungen sind keine Meinung im Sinne des Grundrechts und insoweit auch nicht geschützt.

Wenn die Holocaust-Leugnung jedoch mit Werturteilen vermengt wird, dann kann in bestimmten Fällen der Schutzbereich der Meinungsfreiheit durchaus betroffen sein. Heute hat man es in diesem Zusammenhang oft mit diffusen Tatsachenbehauptungen zu tun, die mit Werturteilen vermischt werden und hierdurch teilweise den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnen.

Dann bedarf es einer individuellen Gesamtbewertung der Äußerung, bei der unter anderem das Ansehen der Opfer, der öffentliche Frieden, öffentliche Sicherheit etc. berücksichtigt werden muss.

In Deutschland spielt das Thema eine besondere Rolle. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz als „Gegenentwurf“ des „sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat“. Vor diesem Hintergrund ist die deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung bzgl. dieses Themas durchaus strenger als anderenorts. Bei der Ausgestaltung der Meinungsfreiheit haben Staaten einen (beschränkten) Ermessensspielraum. Deutschlands Ausübung dieses Ermessensspielraums steht im Einklang mit den einschlägigen, internationalen Menschenrechtskonventionen, was vom EGMR bestätigt wurde.

Übrigens: nicht nur in Deutschland ist das Leugnen der Shoa unter Strafe gestellt. Achtzehn europäische Staaten haben eine entsprechende Verbotsregelung, darunter alle deutschsprachigen Länder.

22. August 2024