Im Gespräch mit Dirk Reinhardt auf der Buchmesse 2025 über seinen Roman „No Alternative“ – Ein Verlaufsbericht

Dirk Reinhardt, am Vortag mit dem Preis der Jugendjury des Deutschen Jugendbuchpreises ausgezeichnet, sprach zunächst am Samstag (18.10.2025) im Frankfurt Pop Up-Studio und dann am Sonntag (19.10.2025) am Amnesty-Truck mit Elena Steinbach von der Hochschulgruppe Frankfurt und Manuela Schotte von der Themengruppe Meinungsfreiheit über seinen jüngsten Jugendoman „No Alternative“.

Ein sehr treffender Ort für ein Gespräch, da der Roman zu weiten Teilen in Frankfurt spielt. Zudem stellt sich über die Seiten die Frage, welche Formen des Klimaprotestes angemessen sind. Damit ergeben sich Bezüge und Überschneidungen zur Amnesty-Kampagne „Protect the Protest“. Diese macht auf die zunehmenden Gefährdungen und Einschränkungen legitimen Protests weltweit, auch in Deutschland, aufmerksam.

Gleich zu Beginn des Gesprächs wird deutlich, dass das Problem für das Publikum auch persönlich sehr relevant ist. Eine kurze Nachfrage zeigt, dass viele der Anwesenden selbst schon an einer Demonstration teilgenommen haben. Reinhardts Interesse an dem Thema ist durch die frühen Demonstrationen von Fridays for Future sowie die ersten Protestcamps und den Hungerstreik der Letzten Generation geweckt worden. In seinem vielschichtigen Roman, der sich vor allem, aber nicht nur, an junge Leser richtet, beleuchtet er zahlreiche und interessante Gesichtspunkte der Thematik.

Dass öffentliche Aufmerksamkeit trotz legitimen Anliegens eine zwiespältige Wirkung entfalten kann, zeigt sich gleich in der ersten Passage, die er aus seinem Werk liest. Die jugendliche Protagonistin Emma hat eine Flagge der fiktiven Klimaschutzbewegung „No Alternative“ auf der Spitze des Frankfurter Messeturms angebracht. Eine medienwirksame Aktion, aber auch Hausfriedensbruch. Zudem hat sie beim mutigen Kletten ihr Leben riskiert. Im Verlauf wird sie in einer Talkshow nach ihrem Protest befragt. Sind ihre zunehmend radikalen und immer gewaltbereiteren Aktionen legitim? Sind sie in der Tat alternativlos, wie der Name der Organisation behauptet? Emma jedenfalls begreift sich zu diesen Zeitpunkt der Handlung nicht als radikal, sondern bezeichnet diejenigen, die die Umwelt zerstören, so. Sie beruft sich auf Sophie Scholl, die zwar nur Flugblätter verteilt, in ihren Tagebüchern aber auch Gewalt nicht ausgeschlossen hat, wie Reinhardt erläutert. Emma argumentiert, dass es sich dabei um Selbstverteidigung handeln würde, selbst wenn damit Grenzen überschritten werden. Doch der Autor zeigt, wie sie zu dieser Haltung kommt. Ihre sachlichen Argumente will die Öffentlichkeit nicht hören.

Außerdem tragen persönliche Umstände (der Tod ihres Freundes bei einer Protestaktion) dazu bei, dass sich ihre Sprache zuspitzt und sie sich der Gewaltspirale lange nicht entziehen kann. Zugleich leidet sie unter dieser Entwicklung und empfindet Schuld.

Nach einiger Zeit ergeht es Emma wie vielen (Klima)Aktivisten in der Realität: Sie wird von der Polizei verfolgt. Doch ist der gegen sie – wie auch gegen reale Klimademonstranten – erlassene Haftbefehl wegen des „Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung“ berechtigt? Oder stellt er eine Kriminalisierung legitimen Protests dar? Und ist die Art und Weise, wie die Polizei ermittelt, überhaupt rechtens? Schließlich wird Emma durch eine Aufnahme einer der vielen, von Passanten oft unbemerkten Überwachungskameras der Teilnahme an einer weiteren Aktion überführt. Welche Rolle spielt also (auch KI gestützte) Überwachungstechnik beim Umgang der Polizei mit Aktivsten?

Im Roman – wie allzu oft auch im echten Leben – scheint es Öffentlichkeit, Medien und Ordnungskräften gar nicht um die tatsächlichen Anliegen und Entscheidungen der Aktivisten zu gehen, sondern Protest wird von ihnen vor allem als störend und lästig empfunden. Und das obwohl er einen wichtigen Beitrag für eine freie und demokratische Gesellschaft darstellt. Friedlicher Protest und auch Formen gewaltfreien zivilen Ungehorsams sind durch das Recht der Meinungs- und das der Versammlungsfreiheit gedeckt!

Dennoch bleibt das moralische Dilemma: Wie Protest im Einzelfall gestaltet wird und wo seine Grenzen liegen, muss (vorausgesetzt, keine Person kommt zu Schaden) immer neu ausgehandelt und vom Einzelnen persönlich verantwortet werden. Reinhardt veranschaulicht dies, indem er Emma im Roman drei weitere Jugendliche mit verschiedenen Haltungen dazu an die Seite stellt. Das Publikum auf der Buchmesse, danach befragt, welcher Ansicht es sich am ehesten anschließen würde, ist erwartungsgemäß unterschiedlicher Meinung.

Reinhardt selbst möchte sich am ehesten der Figur von Alice, Emmas Pflegemutter und Professorin für Umweltethik, anschließen. Sie kritisiert, dass Eigentum durch das Recht mehr geschützt werde als Lebewesen und dass Umweltschützern daher manchmal keine andere Möglichkeit als der Rechtsverstoß bleibe. Dennoch lehnt sie die radikalen Aktionsformen von „No Alternative“ ab, weil diese die Öffentlichkeit empörten und dem berechtigten Anliegen der Organisation daher schadeten.

An beiden Tagen der Buchmesse blickten Autor und Moderatorinnen anschließend noch kurz auf den zweiten Handlungsstrang des Romans. Dieser handelt von Finn, der als Praktikant bei einer großen Frankfurter Zeitung der Geschichte Emmas nachgeht. Dabei stellt sich ihm die Frage, welche Rolle die Medien bei der Debatte um angemessene Protestformen spielen. Finn jedenfalls, anders als reale Boulevardzeitungen, deren unausgewogenen und zum Teil falsche Berichterstattung laut Reinhardt maßgeblich zur öffentlichen Abwertung der sogenannten „Klimakleber“ beigetragen hat, begibt sich auf eine langwierige, viele Stationen umfassende Recherche. Er stellt sich die Frage, wie er Emmas Geschichte angemessen vermitteln kann. Empört ist er über die Art und Weise, wie mit ihr in der anfänglich erwähnten Talkshow umgegangen wird. Der Moderator agiert undifferenziert und greift Emma persönlich an, was zu höchst unterschiedlichen Reaktionen des Publikums in den sozialen Medien führt. So erfährt sie Zustimmung, aber Finn sorgt sich auch über das Ausmaß an Hass und Hetze, die sie ebenfalls erfährt. Hier wird deutlich, dass auch Hate Speech legitimen Prostest verhindern und zur Radikalisierung der Aktivisten beitragen kann.

Auch wenn das Manifest von „No Alternative“, die dritte Ebene des Roman, an beiden Tagen leider nicht mehr zur Sprache kam, dürfte das Publikum angesichts der vielen anregenden Überlegungen in Sachen Protest wohl nachdenklich nach Hause gegangen sein. Und zumindest in einem waren sich am Ende sicherlich alle Anwesenden einig: „Wir können uns nicht ewig damit rausreden, dass die anderen auch nichts tun. Dann ändert sich nie etwas.“

15. November 2025