Vom Hoffnungsträger zum Härtefall

TUNESIEN

Vom Hoffnungsträger zum Härtefall

Wegen „Bildung einer terroristischen Organisation“ wird in Tunesien gegen Chaima Issa, Jaouhar Ben Mbarek und Khayam Turki ermittelt. Alle drei sind momentan in Haft und müssen sich vor dem Antiterrorgericht unter anderem wegen “Versuchs, die Staatsform zu verändern” verantworten. Darauf steht gemäß Paragraf 72 des Strafgesetzbuchs die Todesstrafe.

Die Vorwürfe beziehen sich unter anderem auf Bemerkungen, die die Aktivistin Chaima Issa, die auch der oppositionellen Nationalen Erlösungsfront (NSF) angehört, in einem Radiointerview am 22. Dezember 2022 über die Behörden gemacht hatte. Auch Jaouhar Ben Mbarek ist ein bekannter tunesischer Aktivist und NSF-Mitglied. Zusammen mit Chaima Issa ist er Gründungsmitglied der politischen Initiative “Bürger*innen gegen den Putsch”, die sich gegen die Machtergreifung von Präsident Saied im Jahr 2021 stellt. Zudem war Jaouhar Ben Mbarek an der Ausrichtung einiger Protestveranstaltungen in Tunis beteiligt, bei denen die Absetzung des Präsidenten und der Regierung gefordert wurde. Der prominente Politiker Khayam Turki schließlich wird als Direktor einer Denkfabrik namens Joussour (“Brücken”) verfolgt.

Seit Beginn der jüngsten Festnahmewelle am 11. Februar 2023 ermitteln die tunesischen Behörden gegen mindestens 32 Personen – allein weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben.

Ironie des Schicksals: Noch vor zehn Jahren, zur Zeit des Arabischen Frühlings, wurde Tunesien als demokratischer Hoffnungsträger gefeiert. Die internationale Unterstützung für die junge Demokratie hielt sich aber leider – auch von Seiten der Europäischen Union – in Grenzen. Nicht zuletzt deshalb kam es Ende Juli 2021zu einem Bruch im Demokratisierungsprozess: Der erst im Oktober 2019 gewählte Staatspräsident Kais Saied löste das Parlament auf und führte per Referendum – mit einer Wahlbeteiligung von nur 28 Prozent – eine neue Verfassung ein, die die Gewaltenteilung schwächte und seine eigene Position stärkte.

Seitdem geht das Regime unermüdlich gegen vermeintliche politische Gegner*innen” auf der Grundlage von “Verschwörung gegen die Staatssicherheit” vor.

Besonders perfide: Jetzt, da die demokratische Entwicklung in Tunesien vorerst gescheitert scheint, bemüht sich die EU doch noch, das Land vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu bewahren. Im Rahmen eines Migrationsabkommens, nicht wegen der Menschenrechte.

 

Von Barbara Erbe

19. September 2023